Haben wir unser Körpergefühl verloren?

Lassen Sie uns einen kleinen Versuch machen: Setzen Sie sich hin und konzentrieren Sie sich auf Ihre Füße. Dann heben Sie zuerst rechts, dann links einfach nur den großen Zeh. Klappt das? Oder fällt es Ihnen schwer?

Unser Körper ist ein unglaublich komplexes Gebilde. Knochen, Muskeln, Haut, Organe und eine Vielzahl an chemischen Verbindungen spielen zusammen, damit wir in unserem Alltag all das tun können, was unser Menschsein ausmacht.

Während unsere Vorfahren schweren physischen Belastungen ausgesetzt waren, ums Überleben kämpften und Strapazen über sich ergehen lassen mussten, sind wir heute dank hochentwickelter Technologien weit besser geschützt. Gleichzeitig führt unsere moderne Lebensweise aber auch dazu, dass wir uns immer weniger bewegen. Das birgt gesundheitliche Risiken, und hat zur Folge, dass wir das Gespür für unseren Körper verlieren.

Genauso schädlich wie Rauchen

„Unser Körper ist darauf ausgelegt, sich zu bewegen“, so Dr. Gabriele Karanis, ehemalige Chefärztin Orthopädie des Eisenmoorbades. Oder, wie es der Volksmund sagt: Wer rastet, der rostet. Mangelnde Bewegung ist ein Risikofaktor für viele Erkrankungen: Übergewicht, Rückenschäden, Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Burn-out. Die Liste ließe sich noch weiterführen. Nicht ohne Grund hielt die Weltgesundheitsorganisation WHO schon 1994 fest, dass Bewegungsmangel so schädlich sei wie Zigaretten.

Bewegung – und damit einhergehend ein gutes Körpergefühl oder Körperbewusstsein – ist aus ganzheitlicher Sicht essenziell. Wenn wir in gesundem Maße aktiv sind, fördert das nicht nur unser physisches Wohlbefinden. Bewegung wirkt sich auch auf unsere geistige und seelische Gesundheit aus. Wir fühlen uns ausgeglichen, zufrieden. Wir haben ein besseres Gespür für das, was uns gut tut. Wir sind widerstandsfähiger gegen Stress.

Bewegung ist für die Entwicklung von Kindern besonders wichtig

Bewegung ist in jedem Alter wichtig – und zwar von klein auf. Denn gerade bei Kindern kann Bewegungsmangel zu Fehlbildungen der Füße und der Wirbelsäule führen, die nachhaltig schädliche Entwicklungen zur Folge haben, wie Dr. Gabriele Karanis ausführt. Und: „Kinder testen sich durch Bewegung in ihrer Umgebung aus“, so die Ärztin. „Sie trainieren Reflexe und eigene Grenzen. Aber nicht nur das: Bewegung geht immer einher mit der Ausbildung der Gehirnfunktionen. Auch Lernen funktioniert viel besser in Kombination mit Bewegung.“

Indem die natürlich angelegte Lust auf Aktivität gefördert wird, haben Kinder nicht nur Spaß, sondern entwickeln auch ein besseres Gefühl für den eigenen Körper und die Bewegungssteuerung. Die zu Beginn beschriebene Zehenübung fällt plötzlich leicht.

Tipps für den Alltag

Als Erwachsene können wir allerdings genauso viel dafür tun, um Körpergefühl, Beweglichkeit und Geschicklichkeit zu trainieren:

  • Barfußlaufen stärkt die Fußmuskulatur und wirkt Fehlstellungen entgegen, die durch zu enge oder ungesunde Schuhe entstehen können. Wenn wir barfuß über verschiedene Untergründe laufen (wie dies beispielsweise auf dem Barfußpfad in Bad Schmiedeberg möglich ist), fördern wir unsere Sensorik. Zudem ist es wie eine Fußreflexzonenmassage.
  • Auch Fußrollen oder Igelbälle haben einen Massageeffekt für die Füße und helfen, verlorene Empfindsamkeit wieder zurückzugewinnen und den Spannungszustand der Muskulatur günstig zu beeinflussen.
  • Der Igelball kann auch an anderen Körperstellen eingesetzt werden, z. B. für die Hände, auf dem Stuhl unter dem Po oder an der Wand/auf dem Boden bei Nacken- oder Rückenverspannungen.
  • Integrieren Sie in Ihren Arbeitsalltag immer wieder kleine Dehn- und Bewegungsprogramme. Richten Sie sich z. B. bewusst auf und öffnen Sie den Brustkorb. Verschränken Sie die Hände hinter dem Rücken und dehnen Sie die Schultern nach hinten und unten aus. Drehen Sie den Kopf nach links und nach rechts und kreisen Sie ihn ein paar Mal.
  • Beim Sitzen können Sie sich ein Heft zwischen die Beine klemmen. Das stärkt die Muskulatur der Innenschenkel. Denn die ist oft untrainiert, was zu Disbalancen der Oberschenkelmuskelanteile und zu Knieschmerzen führen kann.
  • Wenn Sie lange in einer Position verharren, sollten Sie sich nach spätestens 30 Minuten dazu zwingen, Ihren ganzen Körper kurz zu schütteln und dann etwas zu machen, das eine andere Position oder Bewegung erfordert. Wenn Sie also z. B. am Computer arbeiten, stehen Sie am besten auf und erledigen etwas, wofür Sie von A nach B gehen müssen.
  • Beleuchten Sie Ihren Arbeitsalltag: Wie können Sie Abläufe so gestalten, dass sich sitzende und bewegende Tätigkeiten abwechseln?
  • Kleine Merkzettel oder die Handy-Reminderfunktion helfen dabei, sich zu erinnern.
  • Hilfreiche Tipps bieten auch Gesundheitsapps. Manche davon sind sogar verschreibungsfähig und werden von der Krankenkasse bezahlt. Informieren Sie sich bei Ihrer Kasse.
  • Mit einer Schrittzähler-App können Sie überprüfen, wie aktiv Sie sind. Machen Sie daraus einen persönlichen Wettbewerb oder eine Challenge mit anderen, wer die meisten Schritte schafft.
  • Testen Sie eine neue Sportart aus. Dabei werden nicht nur neue Muskeln trainiert, sondern auch andere Gehirnareale angeregt. Orthopädische Abklärungen können sinnvoll sein, um herauszufinden, welche Formen der Bewegung zu den körperlichen Voraussetzungen passen. Je nachdem, wie instabil die Wirbelsäule, die Bänder und damit verbunden auch die Gelenke sind, eignen sich beispielsweise Sprungsportarten weniger, weil sie unter anderem ein erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich bringen.

Wie so oft gilt: Man muss nicht übertreiben. Ein ausgewogenes Maß an Bewegung reicht, um sich und seinen Körper in einer gesunden Balance zu halten.

***

Autorin: Bettina Bichsel bloggt für das Eisenmoorbad rund um Lesenswürdiges, Medizinisches, Gesundes und Kneipp-Spezifisches. 

Tags :