(Kleobulos von Lindos, 6. Jahrhundert v. Chr. Lindos Rhodos, Griechenland)
Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser für uns alle schwierigen und ungewohnten Zeit möchte ich einige Gedanken mit Ihnen teilen, und grüße damit alle aus dem schönen Zypern.
Ignaz Philipp Semmelweis (1818-1865) war ein ungarischer Chirurg und Geburtshelfer in Wien. Semmelweis führte das häufigere Auftreten von Kindbettfieber in öffentlichen Kliniken im Vergleich zur privaten Entbindung auf mangelnde Hygiene bei Ärzten und Krankenhauspersonal zurück und bemühte sich, Hygienevorschriften einzuführen.
Als Ergebnis seiner Studien wies Semmelweis seine Studenten an, die Hände vor jeder Untersuchung zu desinfizieren, mit Chlorlösung, später mit dem billigeren Chlorkalk – wie sich herausstellte, eine wirkungsvolle Maßnahme: Die Sterblichkeitsrate sank in nur wenigen Monaten von 12,3 auf 2 – 3 Prozent, 1848 sank die Sterblichkeitsrate auf 1,3 Prozent. Semmelweis erkannte, dass eine Ansteckung von lebenden Personen ausgehen konnte!
Trotz dieses Erfolgs wurden die Arbeiten von Semmelweis lange Zeit vor allem von führenden Medizinern nicht anerkannt. Viele Ärzte und auch seine Studenten hielten Sauberkeit für unnötig und wollten nicht wahrhaben, dass sie selbst die Verursacher jener Krankheit waren, die sie eigentlich heilen wollten. Während er zu Lebzeiten beschimpft und sogar in die Psychiatrie weggesperrt wurde, da Hygiene als Zeitverschwendung und unvereinbar mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen angesehen wurde, gilt er heute als „Retter der Mütter“.
Auch ein anderer Arzt, der schottische Chirurg Joseph Lister (1827-1912), machte sich verdient im Bereich der antiseptischen Chirurgie. Die Akzeptanz seiner Ideen ließ ebenfalls lange auf sich warten. Es hatte fast zwei Jahrzehnte gedauert bis seine Methoden von der Fachwelt der Chirurgen akzeptiert wurden. Nach Listers Studien bestand eine Sterblichkeitsrate nach der eigentlichen Operation von 50 Prozent infolge Infektionskrankheiten, die Benutzung von Antisepsis und ordentlicher Hygiene senkte diese Sterblichkeit auf 15 Prozent.
Ich hatte Glück in meinem Leben, wie natürlich alle in der heutige Zeit Lebenden: Ich habe gelernt, mich selbstverständlich und natürlich vor Infektionskrankheiten zu schützen.
Bereits in der Grundschule im kleinen Dorf in Chrysso/Evritania in Griechenland mussten wir jeden Montag die Hände vorstrecken und der Lehrer prüfte, ob die Fingernägel geschnitten und die Finger sauber waren. Wir durften Katzen und Hunde streicheln, allerdings waren wir verpflichtet, unmittelbar danach unsere Hände gründlich zu waschen. Es war bekannt, dass zumindest Echinokokkeneier (Bandwürmer) vom Hundekot übertragen werden können. Grundregeln der Natur, um dort zu überleben, wo medizinische Versorgung nicht existierte, wurden uns sehr früh beigebracht. Die modernen Leute in der Stadt halten die Tiere nicht nur innerhalb ihres Hauses, sie teilen sogar oft das Bett mit ihrem Hund oder ihrer Katze. Doch die Tatsache, dass auch diese domestizierten Tiere Krankheiten übertragen können, bleibt, so sehr sie auch geliebt und vermenschlicht werden. Hund und Katze können meist gut mit den Erregern koexistieren und überleben, Menschen aber nicht.
Wir alle haben das Glück, dass Desinfektion und Antiseptik eine Selbstverständlichkeit sind, setzen aber trotzdem unser Glück durch undiszipliniertes Verhalten aufs Spiel.
In Japan war mir anfangs der Begrüßungsstil sehr befremdlich, denn Japaner vermeiden Körperkontakt streng und diszipliniert. Im Laufe meiner Arbeit, und insbesondere in der aktuellen Corona-Krisenzeit, weiß ich diese Verhaltensregeln zu schätzen, und weiß deren Berechtigung. Insbesondere in Griechenland, wo sich Menschen beider Geschlechter küssen, wenn sie sich begrüßen, sollte man umlernen und Körperberührungen unterlassen.
Diese Coronavirus-Pandemie ist nicht die erste Pandemie bzw. Epidemie und wird nicht die letzte sein. Beispiele gibt es zahlreich und es gibt viele Gründe dafür, warum es immer wahrscheinlicher wird, dass Massenausbrüche von Infektionskrankheiten über die Menschen hereinbrechen werden in immer kürzeren Abständen.
In Zeiten der Globalisierung ist es möglich geworden innerhalb eines Tages in entfernteste Orte zu fliegen. Die Globalisierung bietet wahrlich einmalige Chancen, die Welt kennenzulernen, aber die Erde hält dies nicht mehr aus.
In den letzten Jahren hat sich die Touristenzahl z. B. in Griechenland vervielfacht: Dreimal mehr Touristen als einheimische Bevölkerung im Land. Stolz verkündete damals die Tourismusministerin, dass die Zahl von 30 Millionen Touristen in Griechenland im Jahr erreicht sei, und das Ziel wäre, auf 40 Millionen zu erhöhen. Ich habe mich sooft gefragt, und die Frage an die Zuhörer meiner Vorträge in Konferenzen gestellt: „Was soll das, ohne Sinn und Maß Touristenzahlen in die Höhe zu treiben? Wie sieht es mit Umweltschäden, Übermüllung, Störung der Tiere und deren Lebensräume aus?“ 15.000 Touristen aus aller Welt besuchten täglich die Insel Santorini in der Hochsaison. Menschen unterschiedlichster Herkunft, besiedelt mit unterschiedlichster Flora, dicht an dicht gedrängt auf Schiffen, auf Aussichtsplattformen, in Cafes und Restaurants. Ein Leichtes für Krankheitserreger unterschiedlichster Herkunft von Mensch zu Mensch überzuspringen und in neue Regionen verschleppt zu werden.
Die Neugierde der Menschen und der Drang, alles auf dieser Welt besitzen zu wollen, lassen sie in Gebiete vordringen, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Wildnis sollte wild und für sich bleiben, denn wilde Tiere, wie wir wissen, tragen viele Viren, Bakterien und Parasiten an und in sich, die ihnen selbst nicht oder unwesentlich schaden, aber im Menschen unbeherrschbare Krankheiten auslösen können – wie wir jetzt sehen. Wir sollten lernen, mit der Natur zu leben und sie zu respektieren und Natur natürlich sein zu lassen. Massentierhaltung, Abrodung, Verschleppung von wilden Tieren auf Märkte, Massenkonsum, Tourismus, Vernichtung von Lebensräumen u. v. m. – alles, was wir beeinflussen könnten – macht (uns) krank.
Wir sollten uns wieder an das One-Health-Konzept erinnern. Den Begriff „Eine Gesundheit“ oder „Eine Medizin“ gibt es schon lange – das Konzept reicht bis 400 v. Chr. auf Hippokrates ‚On Airs, Waters and Places‘ zurück und wurde von einem amerikanischen Tierarzt 1948 weiterentwickelt: Umwelt-Tier-Mensch – keiner kann ohne den anderen. Kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze kann in einer kranken Umwelt existieren, zumindest nicht gesund. Umwelt- und Klimaschutz ist Infektionsschutz bzw. Schutz vor Krankheiten.
Wir haben es in der Hand, ob das egoistische Jeder-für-sich weiter geht oder nicht. Die Welt nach der Corona-Lektion wird eine andere sein, so oder so. In welcher Welt, in welcher Gesellschaft wir leben werden und leben möchten, hängt von uns ab. Wir alle wissen, dass der Mensch unserer Zeit das Leben auf diesem kleinen Planeten, der heute weltweit bedroht ist, aber auch mit tragischen Folgen für sein eigenes Leben, in den Händen hält.
Meine Frau und ich denken, dass die Natur, als Folge der „verrückten (im Sinne von daneben) Weltordnung“, uns erneut eine Pandemie geschickt hat, um „unsere Weltordnung“ tüchtig durcheinander zu bringen und uns eine Chance zu geben, inne zu halten und diese zu überdenken und neu zu ordnen! Und es wird sich solange wiederholen, bis wir gelernt und verändert haben. Aber wir alle tun so, als ob wir ohnmächtig und „Gewalten“ dieser Erde ausgeliefert sind und nichts ausrichten könnten. Ist das so?
Wir wünschen allen Gesundheit und dass Sie diese Krise unbeschadet überstehen.
Prof. Dr. Panagiotis Karanis, Anatom und Parasitologe, ist international anerkannter Experte für parasitäre Infektionskrankheiten. Geboren in Griechenland promovierte und habilitierte er an der Universität Bonn, forschte und lehrte in Deutschland, Griechenland, Australien, Japan, Kanada, Thailand und China. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten der parasitären und Tropenkrankheiten. Zur Zeit lehrt er an der Universität in Nikosia in Zypern Anatomie des menschlichen Körpers und ist Direktor des Anatomiezentrums der Medizinischen Hochschule von Nikosia.