Sein ganzheitliches Gesundheitskonzept hat bis heute nichts von seiner Wirkkraft eingebüßt. Aber trotz (oder gerade wegen) seiner Erfolge muss sich Sebastian Kneipp zeitlebens gegen Anfeindungen zur Wehr setzen – und ist selbst immer wieder hin- und hergerissen. Doch das Mitleid, das er für die meist mittellosen Kranken empfindet, ist letztlich immer stärker als jede Abmahnung oder die eigenen Vorsätze, sich auf seine priesterlichen Aufgaben zu beschränken.
Schon früh in seiner beruflichen Laufbahn erfährt Kneipp, dass er mit seinem Dienst am Menschen, der über die Seelsorge hinausgeht, Kritiker und missgünstige Mediziner auf den Plan ruft. Die Anzeige eines Apothekers im Jahr 1854 mit dem Vorwurf der Gewerbsbeeinträchtigung sorgt dafür, dass ihm nicht wie ursprünglich vorgesehen eine angesehene Stelle in München als Priester einer Erziehungsanstalt zugesprochen wird. Das bischöfliche Ordinariat ist sichtlich „not amused“ und macht deutlich, dass ein Schuster bei seinen Leisten oder eben ein Geistlicher bei den ihm auferlegten Aufgaben bleiben sollte.
Und als ob die Rüge noch nicht genug gewesen wäre, flattern kurz darauf bei Kneipp eine Vorladung des Königlichen Landgerichts Babenhausen sowie ein Strafbefehl wegen Kurpfuscherei ein. Zwei Gulden muss er bezahlen. Kneipp wehrt sich und appelliert an grundlegende Werte der Menschlichkeit und Nächstenliebe. Unverblümt wirft er in seinem Verteidigungsschreiben die Frage auf, ob man verzweifelten, mittellosen Leidenden tatsächlich die Hilfe verwehren dürfe. Der zuständige Richter zeigt offenbar Verständnis und antwortet gemäß Christian Feldmanns Autobiografie „Sebastian Kneipp – der fünfzehnte Nothelfer“: „Kurieren Sie die, welche keine Hilfe bekommen oder kein Geld haben, um Hilfe zu suchen, und seien Sie ein Helfer in der Not.“
Kneipp selber hadert zwar auch immer wieder damit, dass er doch eigentlich Priester ist – und kein Arzt. Und doch kann er sich dem Leid der Menschen, zu denen er gerufen wird, nicht verschließen: Er könne „gewissenhaft sagen“, dass er versucht habe, der Medizin zu entfliehen. „Aber entkommen konnte ich ihr nicht, da mich die Seelsorge so viel zu den Kranken führte“, hält er fest. Die Beinamen, die ihm die dankbaren Menschen für seine Hilfe geben, sind zahlreich: Wasserdoktor, weil die Wasseranwendungen stets im Zentrum seiner verordneten Kuren stehen. Cholera-Kaplan, weil ihm während der Cholera-Epidemie in Bayern 42 Heilungen zugeschrieben werden. Wundermandl, weil nicht selten Totgesagte durch seine Behandlung zum Leben zurückfinden.
1855 kommt Kneipp nach Wörishofen als Beichtvater im dortigen Dominikanerinnenkloster. Nachdem er zuvor als Kaplan der Pfarrei St. Georg in Augsburg gewirkt hat, kann dies nicht gerade als Aufstieg in seiner geistlichen Karriere bezeichnet werden. Nichtsdestotrotz übernimmt Kneipp mit Eifer seinen neuen Job. Und erneut sieht er sich längst nicht nur für das Seelenheil der Ordensfrauen und der Einwohner*innen von Wörishofen zuständig. Er schaut in dem Waisenhaus und der Mädchenschule, die zum Kloster gehören, nach dem Rechten; liebt es überhaupt, Kinder um sich zu haben. Er eröffnet eine Brauerei. Und er verschreibt sich mit Leib und Seele der Landwirtschaft, um die brachliegenden Felder des Klosters wieder zum Blühen zu erwecken. Seine ersten Bücher sind denn auch landwirtschaftlichen Themen gewidmet: dem Bewirtschaften der Äcker, der Vieh-, Bienen- und Kaninchenzucht.
Daneben nutzt Kneipp die klostereigene Waschküche für seine Wasseranwendungen, zunächst für sich selbst und seine Studien, später auch für seine Patient*innen, die immer zahlreicher nach Wörishofen pilgern. Von seinen Gegnern wird dieser Zulauf natürlich mit Argwohn betrachtet. Immer wieder muss er sich gegen Klagen und Anfeindungen wehren – und macht dabei deutlich, dass er sich bei seinen verordneten Kuren der einfachsten Mittel behilft: Wasser und Kräuter. Keine teuren Arzneien also, sondern Dinge, die jede*r in der Natur finden kann. Geld für seine Ratschläge und Behandlungen verlangt Kneipp denn auch höchstens bei gut Betuchten, die ihn bei ihren Gebrechen konsultieren.
Trotz des 1873 eingeführten Gesetzes der Kurierfreiheit, das auch Laien das Recht zur Behandlung von Kranken einräumt, reißt die Stimmungsmache gegen Kneipp nicht ab. Aber sein Wirken spricht sich herum. Die Liste der durch seine ganzheitlichen Kuren Genesenden wird immer länger. Und mit jedem Jahr wächst die Bekanntheit des Priesters mit den heilkundigen Fähigkeiten – über die Grenzen Wörishofens, Bayerns und schließlich ganz Deutschlands hinaus.
Lesen Sie Teil I über das Leben von Sebastian Kneipp hier und Teil III im kommenden Monat.