Aktiv sein, sich gesund ernähren, Stress vermeiden – was heute als Grundlage für physisches und psychisches Wohlbefinden vermittelt wird, wusste schon Sebastian Kneipp. Auch über 120 Jahre nach seinem Tod ist seine naturheilkundliche Philosophie alles andere als überholt. Im Gegenteil, seine Überzeugungen und Ratschläge klingen heute aktueller denn je. Wie kann das sein?
Eine Erklärung liefert die Auszeichnung, die Kneipps Lehre Ende 2015 erhalten hat: Sie wurde als immaterielles Kulturerbe in die Liste der UNESCO aufgenommen. Das Gütesiegel kann an verschiedene kulturelle Traditionen verliehen werden, darunter Handwerkstechniken, darstellende Künste, gesellschaftliche Bräuche oder eben Wissen in Bezug auf die Natur. Ausschlaggebend ist laut UNESCO, dass es sich um lebendige Traditionen handelt, die dynamisch weiterentwickelt werden. Traditionen, die „zugleich traditionell, zeitgenössisch und zukunftsgerichtet sind“.
Genau darin, dass Kneipps Gesundheits- und Lebenskonzept kontinuierlich weiterentwickelt und an moderne Gegebenheiten angepasst wurde, sieht Dr. Iris Kröber, Badeärztin des Eisenmoorbades Bad Schmiedeberg, den Hauptgrund für die Zeitlosigkeit seiner Lehre: „Kneipps Konzept mit den fünf Bereichen Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung ist im Grunde sehr einfach. Und weil es so einfach ist, ist es immer adaptierbar. Nehmen wir die Wasseranwendungen: Da brauchen wir heute nicht mehr die Gießkanne, sondern haben zu Hause die Dusche und in den Kneipp-Kurorten die entsprechenden Einrichtungen.“
Gleiches gilt für die Bereiche Ernährung, Bewegung und Lebensordnung, die aus heutiger Sicht sogar noch an Bedeutung gewonnen haben. „Tiefkühlprodukte, Fast Food und andere stark verarbeitete Produkte gab es zu Kneipps Zeiten ja noch nicht“, so Kröber. „Und doch erkannte er schon damals, wie wichtig die Ernährung für die Gesundheit ist.“ Hier steht heute eher die Rückbesinnung im Vordergrund: frische, regionale Zutaten, schonend zubereitet lautet das Credo. Dass dies nicht bedeuten muss, auf alles zu verzichten, darüber haben wir schon berichtet.
Um sich zu bewegen, stehen heute so vielfältige Sportmöglichkeiten zur Verfügung, dass bestimmt für jeden Geschmack etwas dabei ist. Es gibt Trainingsgeräte, mit denen besonders nach einer Operation oder bei chronischen Schmerzen gezielt Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit trainiert werden können. Aber man kommt genauso ohne Fitnessabo und teure Geräte aus, indem man einfach spazieren, Rad fahren oder schwimmen geht. Hauptsache, man wird aktiv – und das regelmäßig.
Besonders ausgeprägt zeigt der Bereich der Lebensordnung die Dynamik und Adaptabilität von Kneipps Lehre. Verschiedene Entspannungsmethoden wie Autogenes Training, Atemtherapie oder Yoga sind hier integriert worden und ergänzen die ursprünglichen Ratschläge, die sich unter anderem auf das Maß-Halten und die Ausgewogenheit zwischen Zeiten der Aktivität und der Ruhe bezogen haben. Dass gerade dieser Bereich so aktuell ist, hängt natürlich auch damit zusammen, dass Stress in unserer Gesellschaft zu einem der Hauptthemen geworden ist, wenn es um die Gesundheit – physisch genauso wie psychisch – geht.
All diese Weiterentwicklungen, Anpassungen und Ergänzungen bedeuten allerdings nicht, dass das von Kneipp erarbeitete Konzept völlig auf den Kopf gestellt wurde. In den Grundzügen ist die Lehre gleich geblieben. Das medizinische Wissen von heute hilft uns allerdings, besser zu verstehen, wie die Anwendungen wirken, während sich Kneipp damals bei der Entwicklung und Verfeinerung seiner Methoden allein auf seine Beobachtungen stützen musste.
So lässt sich heute etwa bei den Anwendungen mit Kaltwasser erklären, wie der Körper auf die Reize reagiert, wie also die Durchblutung gefördert und das Immunsystem durch die Abhärtung gestärkt werden. Oder wie bei regelmäßiger Durchführung der Körper immer weniger Stresshormone ausschüttet und so resilienter, also widerstandfähiger wird – auch gegen psychische Stressfaktoren.
Bleibt der Bereich der Heilpflanzen, der nicht zuletzt wegen Kneipp in heutigen Naturheilverfahren unter der Bezeichnung Phytotherapie wieder eine bedeutende Rolle spielt. Auch hier lassen sich Inhaltsstoffe heute genaustens analysieren und die Wirksamkeit testen, wobei sich wiederum zeigt, wie präzise Kneipp in seinen Beobachtungen war. Als Ergänzung zu pharmazeutischen Arzneimitteln bieten Phytotherapeutika eine natürliche Option mit oftmals viel geringeren Nebenwirkungen. Auch das ein Grund, weshalb sie von vielen Menschen in Anspruch genommen werden.
Überhaupt lässt sich Kneipp ganz individuell an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen und im Alltag umsetzen. Damit bietet er ein Konzept, das jede*r für sich passgenau zuschneiden kann – auch das ein Aspekt, der seine Philosophie so zeitlos hält.