Stress entsteht im Kopf

Wer den Begriff „Stress“ bei Google eingibt, erhält rund 6 Milliarden Treffer. Das zeigt, wie viele Menschen an Stressbelastungen und deren Krankheitsfolgen leiden. Wie können wir frühzeitig reagieren und was hilft?

Stressbelastungen äußern sich in vielfältigen Symptomen. Dazu gehören z. B.:

unangenehme Anspannung
Schwitzen
Magendruck
Übelkeit
Herzrasen
nachlassende Konzentration

Grundsätzlich bedeutet Stress, dass wir mit Anforderungen konfrontiert sind, die unsere persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigen. Demnach reicht eine klassische Stresssituation (wie Zeitdruck oder zusätzliche Arbeitsaufgaben) an sich nicht aus, um bei jedem Menschen Stress in gleichem Ausmaß hervorzurufen.

„Stress entsteht im Kopf.“ – Eine gewagte These oder Tatsache?

Ein Praxisbeispiel: Dem einen treibt es bei dem bloßen Gedanken an ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch den Schweiß auf die Stirn. Ein anderer freut sich darauf, weil er auf diese Weise seinen Marktwert testen kann. Was macht den Unterschied aus? Es ist die BEWERTUNG der Situation.

Im ersten Fall geht der Betroffene, der seit Längerem arbeitslos ist, vielleicht mit dem Gefühl in das Gespräch, dass seine gesamte Existenz davon abhängt. Hingegen hat die zweite fiktive Person einen gut bezahlten Job, möchte sich aber aus dieser sicheren Position heraus umsehen, ob sich auf diesem Weg nicht eine noch besser honorierte oder spannendere Aufgabe finden lässt.

Die individuelle Bewertung der Situation als potenziell bedrohlich ist demnach entscheidend. Dabei ist es irrelevant, ob die gefühlte Bedrohung tatsächlich das Überleben, die berufliche/finanzielle Existenzgrundlage oder die des Selbstwertes betrifft.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: die Einschätzung meiner KOMPETENZEN. Wenn ich denke, dass ich der (gefühlten) Bedrohung möglicherweise nicht gewachsen bin, ist die zweite zwingende Voraussetzung dafür gegeben, dass ich eine Stressreaktion entwickle. Wenn ich beispielsweise weiß, dass ich der einzige Bewerber mit der gesuchten Qualifikation bin und mir der Hauptverantwortliche positiv gewogen ist, dann kann ich trotz existenzieller Bedrohung gelassener an das Gespräch herangehen, als wenn mir diese Informationen fehlen würden.

Wir können also tatsächlich sagen: Stress entsteht im Kopf.

Stressfallen: individuell und tückisch

Aber wie komme ich zu diesen Einschätzungen? Was liegt den Bewertungen einer Situation und meiner Kompetenzen zugrunde? Es sind Einstellungen, Motive und Wertmaßstäbe, die wir im Verlauf unseres Lebens erworben und gefestigt haben. Sie geben uns einerseits Sicherheit im Handeln, andererseits können sie uns eben auch unter Druck setzen und als sogenannte „mentale Stressfallen“ wirken.

Besonders stressanfällig sind Menschen, die beispielsweise:

immer alles richtig machen wollen
sich um alles selbst kümmern müssen
von allen anerkannt und gemocht werden wollen
generell eine pessimistische Weltsicht haben
nicht „Nein“ sagen können.

Durch diese/unsere „persönliche Brille“ betrachten wir also unsere Umgebung und schätzen sie ein. Wenn die oft überhöhten Erwartungen an uns selbst und andere nicht erfüllt werden, leiden wir vermehrt unter Stress. Unsere Stressbelastung hängt also nicht nur von äußeren Bedingungen ab, sondern wie schon beschrieben auch wesentlich von unserer Bewertung der Gegebenheiten.

Was können wir tun?

Zuerst ist es wichtig, sich mit den eigenen handlungsleitenden Motiven auseinanderzusetzen und diese zu erkennen. Fragen Sie sich:

„Wie setze ich mich selbst unter Druck?“

„Möchte ich immer alles richtig machen?

„Traue ich mich wenig zu?“

 Es ist nicht einfach, diesen Fragen auf den Grund zu gehen und ehrlich zu sich selbst zu sein. Oftmals dauert es eine Weile, bis einem die Zusammenhänge deutlich werden. Wenn dies gelungen ist, kann man sich an den nächsten Schritt wagen und eine Veränderung, eine Umstrukturierung der überhöhten und unrealistischen Einstellungen vornehmen.

Jetzt geht es darum, die eigenen Motive zu hinterfragen und in Frage zu stellen. Es fällt den meisten Menschen sehr schwer, ihre hohen Ansprüchen in ein angemessenes Maß zu bringen. Viele haben Sorge, nicht mehr anerkannt zu werden, befürchten negative Konsequenzen am Arbeitsplatz, wenn sie nicht mehr perfekt sind.

Niemand ist perfekt!

Es geht jedoch nicht darum, sich völlig von seinen Werten abzuwenden, sondern darum, sie auf ein realistisches erreichbares Maß zu bringen. Fragen, die bei der Reflexion unterstützen können:

„Sind meine Ansprüche realistisch?“

„Was denkt jemand, der so eine Situation gelassener betrachtet als ich?“

„Was würde ich einem guten Freund oder einer guten Freundin in derselben Situation raten?“

„Wie denke ich in einem halben oder in fünf Jahren darüber?“

„Sehe ich nur die Negativseiten dieser Situation?“

Nun geht es darum, alternative handlungsleitende Gedanken/Sätze zu entwickeln und zu überlegen, wie ich mich wieder aufbauen kann. Aus „Sei perfekt!“ wird beispielsweise „Ich gebe mein Bestes!“ oder „Fehler sind nicht schön, können aber vorkommen!“ Es geht darum, von erhöhten, nicht erreichbaren Maßstäben wegzukommen und sich weniger unter Druck zu setzen. Ziel ist es, dadurch die Stressbelastung langfristig zu reduzieren und wieder mehr Lebensqualität zu erreichen. Dies geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern bedarf viel Übung. Denn nicht alles, was wir verstandesmäßig einsehen, fühlt sich auch gleich richtig und gut an.

Geben Sie sich Zeit und verzweifeln Sie nicht, falls sie kurzzeitig wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Niemand ist perfekt, auch nicht beim Lernen und Umsetzen neuer Verhaltensweisen.

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Autorin: Dipl.-Psychologin Annette Dimter studierte an der TU Dresden Psychologie und arbeitet seit 2009 im Eisenmoorbad. Sie besitzt eine Zusatzqualifikation als Psychoonkologin.

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Foto: Alexa (Pixabay)