Wir alle kennen sie: Gutgemeinte Ratschläge von gesunden sportlichen Menschen, denen es leicht fällt, sich zu bewegen, die scheinbar mühelos Kalorien verbrennen und niemals zunehmen. Egal, wie viel sie essen. Sie vermitteln mit imaginär erhobenem Zeigefinger, dass man »nur« gesünder essen, täglich Sport machen und keinesfalls einen Cocktail trinken solle, um genau so zu sein wie sie. Motiviert uns das? Nein. Dieser Zustand körperlicher Unterlegenheit und vermeintlich mentaler Schwäche frustriert die meisten und wir trösten uns mit besagtem Cocktail, einer leckeren Karamellsauce auf dem Schokoladeneis oder einem Steak Au Four mit knusprigen Pommes frites. »Was soll’s«, denken wir, »man lebt nur einmal.« Die Frage ist nur, wie lange….
Nur eine Frage der Motivation?
Es gibt nämlich Fakten, die nicht nur für die Superfitten unter uns gelten, sondern die uns allen – egal welchen Gewichts, Alters und Gesundheitszustands – auf den richtigen Weg bringen können. Diese Fakten bewegen sich abseits der Tatsache, dass die Änderung des Lebensstils in Bezug auf Ernährung, Bewegung und Abhängigkeiten von Nikotin, bestimmten Medikamenten oder Alkohol nur zu mehr Schönheit und Fitness führt. Es ist ganz einfach: Wir alle könnten länger leben. Wer will das nicht? Es ist also eine Frage der Motivation: Wenn es uns schon kein ausreichender Anreiz ist, Topmodel-Maße zu erreichen, einen Marathon laufen zu können oder zum Super-Veganer zu werden, motiviert uns vielleicht die erstrebenswerte Erwartung eines längeren Lebens. Und nun die versprochenen Fakten:
Im Rahmen einer Langzeitstudie haben Forscher der University of Illinois um Xuan-Mai Nguyen, Professorin an der Harvard Medical School, Ergebnisse präsentiert, die auf der Analyse von Daten von über 700.000 US-Veteraninnen und Veteranen zwischen 2001 und 2019 beruhen. Die Daten stammen aus dem Million Veteran Program in den USA, in dessen Rahmen untersucht wurde, welchen Einfluss Gene, Lebensstil und militärische Erfahrungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ehemaliger Militärangehöriger haben. Die Forschungsergebnisse hat das Team um Xuan-Mai Nguyen auf der Ernährungskonferenz Nutrition 2023 in Boston vorgestellt.
Über 20 Jahre mehr können’s sein
Demnach ergab die Studie, dass 40-jährige Männer mit einem gesunden Lebensstil durchschnittlich 23,7 Jahre und gleichaltrige Frauen durchschnittlich 22,6 Jahre länger leben als Personen mit einem ungesunden Lebensstil. Im Übrigen kam eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums zu einem ähnlichen Ergebnis, wonach Männer mit einem ungesunden Lebensstil durchschnittlich 22,7 Jahre früher sterben.
Die berechtigte Frage lautet nun, was den «gesunden Lebensstil» ausmacht. Sie ahnen es schon… Es sind laut der oben erwähnten Studie bestimmte Verhaltensweisen, die uns zu einem längeren Leben in Gesundheit und Wohlbefinden verhelfen können. Wir alle sollten:
- körperlich aktiv sein,
- uns gut ernähren,
- gut mit Stress umgehen können,
- regelmäßig und erholsam schlafen,
- positive soziale Beziehungen pflegen, außerdem
- den Einfluss bzw. Konsum krebserregender Stoffe meiden.
Aber was bedeutet das? Also doch zum marathonlaufenden, genussabstinenten Superveganer werden? Nein!
Schwitzen statt Sitzen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2018 den Globalen Aktionsplan für Körperliche Aktivitäten verabschiedet. Durch diesen Plan soll die körperliche Inaktivität weltweit bis 2030 um 15 % reduziert werden. Um dies zu erreichen, gibt die WHO regelmäßig Aktivitätsempfehlungen heraus, welche in die nationalen Gesundheitsrichtlinien der einzelnen Länder einfließen sollen. Die zuletzt im Jahr 2020 herausgegebenen Richtlinien empfehlen allen Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren, auch denjenigen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung, jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aktiv zu sein. Damit ist Ausdauertraining (sogenanntes aerobes Training) von moderater bis hoher Intensität gemeint. Alternativ ist auch eine Dauer von 75 bis 150 Minuten aerober Aktivität ausreichend, wenn sie mit hoher Intensität betrieben wird. Auch eine Kombination beider Intensitätslevel ist möglich.
Um weitere gesundheitliche Vorteile zu erlangen, empfiehlt die WHO an zwei oder mehr Tagen pro Woche ein mindestens moderates Krafttraining (anaerobes Training), das alle wichtigen Muskelgruppen erfasst (Brust, Rücken, Oberschenkel, Waden, Schultern, Trizeps, Bizeps). Dieses Krafttraining kann mit dem eigenen Körpergewicht erfolgen (Liegestütze, Sit-ups, Bergsteiger, Kniebeuge, Planks etc.), mit Kurz- und Langhanteln oder auch an Kraftmaschinen in Fitnessstudios durchgeführt werden.
Älteren Menschen ab 65 Jahren wird von der WHO empfohlen, ihre Aktivitäten an mindestens drei Tagen pro Woche zunehmend auf Gleichgewichts- und Koordinationsübungen und Stärkung der Muskelkraft zu verlagern, um das Sturzrisiko zu reduzieren.
Trotz der konkreten Empfehlungen weist die WHO jedoch ausdrücklich darauf hin, dass «für die Gesundheit jede Bewegung zählt». Körperliche Aktivität könne «dem Leben mehr Jahre und den Jahren mehr Leben geben», so WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghereyesus.
Nahrung als LEBENS-Mittel
Wir alle wissen grundsätzlich, was mit guter Ernährung gemeint ist. Der Geist ist willig…. Gemeint sind nicht Diäten und einseitige Ernährung, um Modelmaße zu erreichen. Starkes Übergewicht gilt jedoch ebenso wie das Rauchen als Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Anzustreben ist deshalb eine Ernährungsumstellung, die in ausgewogenem Maß aus gesunden Kohlenhydraten, Eiweiß, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien sowie gesunden Fetten besteht. Im Zusammenspiel mit der oben beschriebenen körperlichen Bewegung kann damit eine deutliche Gewichtsreduktion erreicht werden.
Es ist belegt, dass sich eine nahezu ideale Kombination der Nährstoffe durch eine Umstellung auf die mediterrane Ernährungsweise erreichen lässt. Diese als Mittelmeer-Diät oder Mittelmeer-Kost bezeichnete Ernährungsweise stellt keine kurzfristige Diät dar, sondern ist eine dauerhafte Ernährungsweise mit viel frischem Obst und Gemüse, wenig Fleisch, viel Fisch und hochwertigen Ölen, hauptsächlich Olivenöl. Auch Prof. Dr. Rainer Wirth, Vorstandsmitglied und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e.V. weist in einem Beitrag der Welt darauf hin, dass die Mittelmeerkost gut erforscht ist: »Wenn ein 20-Jähriger darauf umstellt, dann gewinnt er ungefähr zehn Lebensjahre. Wenn ein 60-Jähriger diese Umstellung macht, gewinnt er immer noch ungefähr acht Lebensjahre.« Und selbst wer 80 Jahre alt sei, könne durch eine Umstellung der Ernährung noch gut drei zusätzliche Jahre herausholen. Zumindest im statistisch berechneten Mittel, d.h. bei dem einen mag mehr drin sein, bei der anderen weniger.
Zu Recht sind stark verarbeitete Fleisch- und Wurstwaren, Kohlenhydrate aus Weißmehl, zucker- und salzreiche Lebensmittel sowie rotes Fleisch nicht Bestandteil dieser Ernährungsweise. Lebensmittel dieser Art sind für die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Gesundheit nicht nützlich. Vor allem Wurst und stark verarbeitetes rotes Fleisch stehen seit 2015 auf der Liste der krebserregenden Stoffe und sollten daher wenig bis gar nicht verzehrt werden.
Und wie sieht es mit den anderen in der Studie erwähnten Aspekten aus? Lesen Sie dazu mehr im 2. Teil, der demnächst hier erscheint. Und bis dahin: Machen Sie mit Ihrem Zimmernachbarn einen Spaziergang, trinken Sie ein Glas Wasser und essen Sie einen Apfel, bevor Sie Ihr Gehirn mit dem Thema des nächsten Artikels in diesem Heft beschäftigen. Damit sind Sie auf einem guten Weg.
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Autor: Dr. med. Alexander Schmidt ist seit 2015 Ärztlicher Direktor der Rehabilitationskliniken des Eisenmoorbades und Chefarzt Orthopädie der Rehaklinik 1. Er ist Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie sowie für Orthopädie.